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Hellwach hastete Carmen den Bürgersteig entlang, um die interessante Gestalt vor ihr einzuholen. Verblüfft beobachtete sie, wie der Junge mit einer blitzschnellen Handbewegung über einen Gartenzaun griff, die rosafarbene Blüte einer Annemone
abriss und diese lässig in seine Gesäßtasche stopfte. War der noch ganz normal?
Von Neugierde getrieben, steigerte sie ihr Tempo. Beim Überholen fragte sie bewußt dämlich: "Hey, wo geht's zur Schule?" Ihr gelang ein kurzer Blick in misstrauische braune Romeoaugen. "Immer geradeaus", erhielt sie knapp
zur Antwort. Der Junge war erstaunlich blass im Gesicht, als hätte er die Sommerferien im Krankenhaus verbracht. Alarmiert starrte er ihre schwarz umränderten Augen an.
"Bist du auch von unten?"
"Hä?"
"Mein ja nur so", murmelte er abweisend, schlug einen Haken und verschwand in einer Seitenstraße. Schade!
Enttäuscht trottete Carmen weiter. Rasch kramte sie ihren Taschenspiegel hervor, um zu beobachten, ob der Junge wieder aufgetaucht war. Fehlanzeige!
In zwiespältige Gedanken versunken erreichte Carmen das weitverzweigte Schulgelände. Lärmende Schülertrupps näherten sich aus Nebenstraßen. Automatisch folgte sie ihnen.
Dieser blasse Junge ging ihr nicht aus dem Sinn. Etwas Unheimliches war von ihm ausgegangen, das sie unglaublich anziehend fand.
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