2. Der rote Ball
1. Leseverbot
Hui!!! Viel zu schnell kam ein vollbepackter, verstaubter Geländewagen in die Distelstraße von Neustadt gebraust. Am Steuer saß die Hexe Kaukau, modisch gekleidet in grellen Farben, die gefährlich funkelnden Stachelbeeraugen hinter käseschachtelgroßen, finsteren Sonnenbrillengläsern verborgen. "We flying hight, we flying rightup to the ...!" Sie würgte das Autoradio ab. Bremsen quietschten. Der Geländewagen schaukelte aus. Klapper! Knirsch! Knacks! Puh, ist mir heiß! Der blöde Rückwärtsgang hakt. Vermurkste Mottenkiste! Reif für den Autofriedhof. Eine Plastiktüte unter dem Arm flitzte die Hexe energiegeladen ins Haus. Im Flur brüllte sie:"Tricki!!! Wo steckst du?"
TRICKI Schuldbewußt schaute der Roboter von seiner spannenden Lektüre auf. Den ganzen Morgen hatte er hart arbeiten müssen. Dann war er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen: in der umfangreichen Bibliothek der Hexe zu stöbern. Was er einmal gelesen hatte, blieb für immer
in seinem Gedächtnis gespeichert. Er lernte schnell. Und die Hexenkunst faszinierte ihn, weil sie die Naturgesetze außer Kraft setzt. Doch die Hexe hatte ihm verboten, ihre Bücher zu lesen. Schnell rannte er mit einem Staubwedel in der Hand nach oben. "Hier bin ich!" Treuherzig blickte er seine Herrin an.
Was machst du in meinem Arbeitskeller?" herrschte die Hexe Kaukau ihn ärgerlich an. "Du weißt genau, ich will nicht, dass du in meinen Sachen herumkramst."
"Ich habe Staub gewischt. Das steht doch auf der Liste", erwiderte Tricki und hielt als Beweis den Staubwedel in die Höhe. "So?" Die Hexe runzelte die Stirn. Dieser Roboter war entweder dumm oder blitzgescheit. "Merke dir, ich verbiete dir, meine Bücher zu lesen. Hast du mich verstanden?" "Ja, Herrin." Tricki nickte, vielleicht eine Spur zu eifrig. Mißtrauisch fügte die Hexe Kaukau hinzu: "Das ist mein letztes
Wort." "Ja, Herrin." Der Roboter nickte, diesmal eine Spur zu verhalten. "Kreuzspinnenkrampf noch mal!" schimpfte die Hexe. "Wenn ich mich über dich aufrege, zwickt meine Leber. Schlimm ist das mit dir." "Ja, Herrin." Der Roboter rührte sich nicht. Das war der Hexe nun auch nicht recht. Sie griff in die Einkaufstüte. Ein feuerroter Ball war darin. "Nimm den Ball und geh Kinder fangen! Doch zuvor trägst du mir die Sachen aus dem Auto!" befahl die Hexe barsch. "Kochen mußt du heute nichts. Ich habe unterwegs eine Tomatenpizza gegessen." "Ja, Herrin!" Tricki nickte
begeistert. Endlich durfte er mit den Nachbarskindern spielen. Die ganze Zeit hatte er ihre munteren Stimmen im Garten gehört. Er legte den Ball auf die Garderobe und spurtete nach draußen zum Geländewagen. Im Nullkommanichts hatte er die Einkäufe der Hexe ins Haus getragen. Fröhlich holte er den roten Ball und lief in den Garten.
"Wenn ich nur wüßte, ob er mir nützt oder schadet", sprach die Hexe zu sich selbst. "Er arbeitet gut und schnell, kann sogar Haifischhaschee kochen, aber trotzdem. Ein Instinkt, besser noch mein dicker Zeh warnt mich. Er ist zu perfekt."
Hatschiii! Sie mußte heftig niesen. "Hab ich mich erkältet? Und das im Sommer." Falls sie krank werden sollte, war der Roboter ein wahrer Segen für sie. Er würde das wichtigste für sie erledigen. "Ich muss ein Hühnerauge zudrücken", beschloss sie wehleidig, weil es erneut in der Nase kribbelte, "wenn auch mit Bauchschmerzen."
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