Kocherts Zeitreisen


Im Frühjahr soll Jutta eingeschult werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben kauft die Mutter Kleidung für sie. Sie fahren mit dem Zug in die nahe Kreisstadt. Als sie zurückkehren, besitzt Jutta ein rotkariertes Kleid mit weißem Kragen, ein Paar braune Sandalen und weiße Söckchen.

Tante Edelgard ist zu Besuch gekommen. Jutta hört, wie sie zur Mutter sagt: "Auf dem Schulhof einer Volksschule ist ein Brunnenschacht, und - stell dir vor - niemand wußte davon. Jetzt ist ein Schulkind in den verschütteten Brunnen gefallen." "Wie furchtbar!" antwortet die Mutter zutiefst erschrocken.

Heute ist ein wichtiger Tag, denn Jutta wird eingeschult. Leider muss die Mutter in der Papierfabrik arbeiten und kann sie deshalb nicht zur Schule begleiten.
Jutta hat zwei ältere Schwestern. Karin übernimmt die Aufgabe der Mutter. Sie achtet darauf, dass Jutta ordentlich gekleidet ist und überreicht der kleinen Schwester eine rotglänzende Zuckertüte.
Aufgeregt durchsucht Jutta die Zuckertüte. Ein Beutel Karamellen ist darin, sonst nur braunes Packpapier.
Erstaunlich viele Kinder mit ihren bunten Zuckertüten und frohe Mütter warten auf dem Schulhof.
Jutta kommt in die Klasse von Frau Hahn. Sie packt ihren Schulranzen aus. Wieder ist sie tief enttäuscht. Anstelle einer Schiefertafel mit Schwamm hat sie nur eine weiße Kunsttafel aus Pappe, die kratzt.
Die Lehrerin sagt: "Wir malen alle ein i. Seht her! Auf, ab, auf, Pünktchen oben drauf."
Jutta greift nach ihrem Spezialstift für die Kunsttafel. "Du schreibst ja mit links!" schreit das Mädchen neben ihr und meldet sogleich: "Frau Hahn, die schreibt mit der linken Hand." Jutta wird knallrot im Gesicht, weil alle sie anstarren. Schnell nimmt sie den Schreibstift in die rechte Hand.
Als das Pausenzeichen ertönt, rennen die Kinder nach draußen. Jutta bleibt wie angewurzelt auf der letzten Treppenstufe stehen. N-N-N-N-NEIN! denkt sie und steht wie gelähmt. Sie hat furchtbare Angst, in einen verschütteten Brunnen auf dem Schulhof zu fallen.