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17. Warum Sprechverbot?
Hals über Kopf rannten die Schülerinnen einen gewundenen schmalen Waldweg entlang. "Schnell, schnell!", rief die Hexe Fantastika hinter ihnen.
Ob die zwei rot gekleideten unheimlichen Gestalten sie verfolgten? Die Mädchen rutschten auf dem schlammigen Boden aus, verfilzte Brombeerranken zerkratzten ihnen die Hände, sie traten in tiefe Pfützen,
stolperten über herumliegende abgebrochene Äste und verwünschten das glitschige Unterholz, bis endlich ihre Lehrerin rief: "Halt! Hier können wir uns ausruhen."
Keuchend blieben die Mädchen stehen. Der Wind brauste auf und schüttelte das Blätterdach der hohen Eiche, unter der sie angehalten hatten. Dicke schwere Regentropfen klatschten ihnen auf die Köpfe.
"Jetzt reicht's mir aber!", schimpfte Blondi. Ärgerlich schob sie eine ihrer blonden Locken aus dem erhitzten Gesicht.
"Das waren doch Zauberschüler!", murmelte Belli.
"So sehen Zauberschüler aus?", wunderte sich Frosti.
Schnippe lachte auf. "Und ich dachte, es wären Verbrecher."
"Was du so alles denkst!"
"Mir kamen die auch verdächtig vor", gab Tolli zu.
"Tragen die immer rote Mäntel?", überlegte Belli laut .
"Vielleicht ist das ihre Schuluniform."
Die Hexe Fantastika sagte zu allem kein Wort. Sobald die Mädchen sich ein wenig beruhigt hatten, winkte sie ihnen, ihr zu folgen. Diesmal schritt sie an der Spitze des kleinen Zuges, und sie hielt erst wieder an,
als ein Waldtier in Sicht kam. Es war ein flinker Hase, der ihren Weg kreuzte, einen Haken schlug und blitzschnell in eine Senke verschwand.
Da hatte Tolli einen Entschluss gefasst. Rasch lief sie nach vorne zu der Outdoor-Hexe. "Ich verstehe das einfach nicht, Mary", begann sie nachdenklich. "Wir sollen die Sprachen der Tiere lernen, was bestimmt
nicht einfach ist. Sogar mit Krähen sollen wir reden, aber mit den Zauberschülern dürfen wir es nicht."
"Das ist eine lange Geschichte", erklärte daraufhin ihre Lehrerin. Sie blieb stehen, die Schülerinnen rückten auf. "Was ich euch jetzt erzähle, ist vertraulich. Ich denke, ihr habt ein Recht darauf, zu wissen, warum ihr
nicht mit den Zauberschülern reden dürft." Sie blickte in den grauen Aprilhimmel, um sich innerlich zu sammeln. "Es fing damit an, dass die Hexe Donnerwetter den Zauberer Lambda heiratete und sie zwei Schulen
gründeten: die Hexenschule und die Zauberschule im Zitterwald. Alles lief bestens, bis eines Tages der Zauberer Lambda sich von seiner Frau scheiden ließ und eine jüngere Hexe heiratete. Die Hexe Donnerwetter,
inzwischen Oberhexe, war fürchterlich wütend über die Untreue ihres Mannes. Sie beschloss, nie wieder ein Wort mit ihm zu reden. Und seit diesem Tag hat sie ein absolutes Redeverbot eingeführt. Weder
die Lehrerinnen noch die Schülerinnen der Hexenschule dürfen mit den Lehrern oder den Schülern der Zauberschule reden. Als ich als Lehrerin eingestellt wurde, musste ich unterschreiben, mich strikt an dieses Verbot zu halten.
Und deswegen bin ich schnell mit euch weggelaufen, als wir die beiden Zauberschüler trafen."
Die dreizehn Mädchen blickten sie überrascht an. Das war also die Ursache des Redeverbots! Alle waren hell empört, und zum ersten Mal entstand so etwas wie eine Klassengemeinschaft.
"Das finde ich voll ätzend", versicherte Frosti aufgebracht. "Was können wir dafür, dass die sich streiten."
"Sich scheiden zu lassen, kommt schließlich häufig vor. Deswegen müssen sie sich doch nicht ein Leben lang böse sein", schwirrte es durcheinander. "So eine Ungerechtigkeit!"
"Das ist sicherlich viele Jahre her." "Meine Eltern sind geschieden, aber sie reden miteinander." "Die Oberhexe Donnerwetter scheint eine echt nachtragende Person zu sein."
Sie waren sich einig. Wenn auch eine Scheidung für die Betroffenen kummervoll und schmerzlich war, war es doch ungerecht, dass die ganze Schule darunter leiden musste.
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