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13. Der blaue Kasten
Nach der großen Pause, die Tolli mit ihren Freundinnen in einer Ecke auf dem Schulhof verbracht hatte, schlenderten sie in ihr Klassenzimmer zurück. Eine Frau zwischen dreißig und vierzig Jahren saß bereits am Lehrertisch. Ihr silbern gefärbtes
Haar wirkte elegant zu dem dunkelgrünen Hexenhut. Sie trug einen grünen Pulli, eine Jacke mit großem Kragen, lange Hosen und schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Von langen
Reden schien die Hexe Vineta nicht viel zu halten. Sie sprach ruhig und erwartete von den Schülerinnen Aufmerksamkeit und Konzentration für ihr Fach. Da sie gut vorbereitet war, zog sie ihren
Unterrichtsstoff durch, ohne sich von Nebensächlichkeiten ablenken zu lassen.
"Bei der lernt man was", meinte Belli zu Tolli. "Finde ich echt cool." Tolli nickte zufrieden.
Die Hexe Vineta schaute von ihrem Notebook auf. "Wenn ihr eine Hexe werden wollt, ist es erforderlich, euren Geruchssinn zu trainieren, damit ihr in der Natur wichtige Pflanzen, zum Beispiel Heilkräuter, mühelos findet. Um diese Fähigkeit zu verbessern, habe ich
heute einen besonderen Kasten mitgebracht. Wenn
ich den Deckel öffne, strömt der Duft einer Pflanzen heraus, und ihr sagt mir, um welche Pflanze es sich hierbei handelt." Sie griff nach einem blauen Kasten, der neben ihrem Notebook lag. "Fangen wir an!"
Langsam öffnete die Hexe den blauen Deckel. Ein süßer Duft strömte in das Klassenzimmer. "Flieder!", rief Blondi als erste. "Flieder!", ertönte das Echo ihrer Mitschülerinnen.
"Richtig", sagte die Hexe und schloss den Deckel. Sie bewegte leicht die rechte Hand, der Duft nach Flieder war fort. Sie öffnete den Deckel. Es duftete nach ...
"Holunder!", rief Blondi triumphierend. "Holunder!", ertönte das Echo ihrer Mitschülerinnen.
"Richtig", sagte die Hexe. Beim nächsten Öffnen des Deckels herrschte zunächst kurze Stille, dann rief Blondi: "Bärlauch!" Schon folgte das Echo: "Bärlauch!"
"Riecht nach Knoblauch." Alle verzogen die Nase und waren froh, als die Hexe den Geruch wieder aus dem Klassenzimmer entfernt hatte.
Die Hexe Vineta sagte zu Blondi in der ersten Reihe: "Hier vorne bist du etwas im Vorteil. Sei so gut und lass einmal die anderen raten."
Das Ratespiel ging weiter. Die Schülerinnen mussten Pfefferminze, Brennessel und Lavendel erraten. Als ein herber Geruch aus dem Kasten strömte, rief Tolli als erste: "Wacholder!"
"Richtig", sagte die Hexe. "Und was ist das?"
Plötzlich erinnerte sich Tolli an ihre Mutter, als sie noch lebte und sie zusammen frühstückten. Vergnügt schüttete ihre Mutter frisch gebackene Brötchen aus einer Papiertüte in den Brotkorb. "Ein Mohnbrötchen!", rief Tolli spontan. Alles lachte. Verlegen biss
sich Tolli auf die Lippen. "Hast du Hunger?", spottete Schnippi, was Tolli gar nicht gerne hörte.
"Du meinst Mohn", sagte die Hexe Vineta. "Es stimmt." Und sie ließ den Mohnduft wieder verschwinden.
"Jetzt passt gut auf. Dieser Duft ist schwierig zu erraten." Alle schnupperten und schnupperten, ohne Erfolg. Auch Blondi wusste es nicht.
"Das ist Johanniskraut", verriet die Hexe Vineta ihnen. Sie schloss den Deckel, entfernte den Duft aus dem Klassenzimmer und erklärte: "Wir üben immer eine Viertelstunde vor jeder Unterrichtsstunde, damit ihr euren Geruchssinn trainiert, denn diese
Fähigkeit hilft euch später, als Hexe erfolgreich zu sein."
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