Home Die Schattentochter


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Aufgeregt pochte Jenny gegen die verschlossene Tür.

"Frau Kowalski, lassen Sie mich raus!"

"Halt die Klappe, dumme Pute!"

"Was habe ich Ihnen getan?"

"Bist du jetzt still", zischte Frau Pocke.

"Bitte, öffnen Sie die Tür."

"Nun reicht's aber. Damit du endlich den Mund hältst, mache ich dich stumm."

Schon sagte Frau Pocke einen gemeinen Zauberspruch auf:

Einmal reihum,

zweimal Gebrumm,

dreimal kreuzkrumm

und du bist stumm.

In der nächsten Sekunde konnte Jenny nicht mehr sprechen.

In Windeseile kehrte Frau Pocke zur Villa auf dem Stöckelberg zurück. Dort erzählte sie Jennys Mutter eine Lügengeschichte.

Jenny irre am Flußufer entlang. Aus Liebeskummer wolle sie sich in den Fluß stürzen.

Voller Sorge fuhr Jennys Mutter zusammen mit Frau Pocke, die sie für die Putzfrau hielt, zum Steinhaus der Hexe. Sie suchten nach der jüngsten Tochter.

"Sehen Sie mal im Brunnen nach", riet Frau Pocke scheinheilig.

Kaum hatte Jennys Mutter sich über den Brunnenrand gebeugt, erhielt sie von hinten einen kräftigen Stoß, kopfüber fiel sie in den tiefen Brunnenschacht.

Jenny mußte alles vom Fenster ihres Gefängnisses mit ansehen. Nun verwandelte sich Frau Pocke in die Mutter, schob den Riegel zurück und sagte zu Jenny: "Dein Freund ist ertrunken. Deine Mutter liegt im Brunnen begraben. Jetzt gehen wir zu deinem Vater zurück."

Da Jenny stumm war, würde sie dem Vater nicht die Wahrheit erzählen können.

In ihrer Verzweiflung lief Jenny fort und stürzte sich aus Kummer in den Brunnen.

"Du dumme Pute!" kreischte Frau Pocke wütend, denn Jenny hatte ihre Pläne durchkreuzt.



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